Dr.in Romy Simon & PD Anne-Laure Garcia
In den Sozialwissenschaften wird unter Familie eine Konfiguration verstanden, in welcher mindestens zwei Personen aus zwei Generationen zueinander in einer Elter(n)-Kind(er)-Beziehung stehen. Dies schließt sowohl die biologische als auch die soziale Verwandtschaft mit ein (u.a. Patchwork-, Adoptions- oder Pflegefamilien). Ein zentrales Kennzeichen von Familien ist das zwischen den Akteur:innen bestehende Kooperations- und Solidaritätsverhältnis (Nave-Herz 2018). Mit anderen Worten: Familien sind keine natürlichen Gegebenheiten, deren Entstehung und dessen Bestehen durch genetische Verbindungen bedingt sind, sondern es sind gesellschaftlich variable Konstrukte. Da je nach Region der Welt und Epoche unterschiedliche Konfigurationen von Personennetzwerken als Familien gedeutet werden, wird sie von Soziolog:innen als eine soziale Tatsache verstanden.
Zum Beispiel lassen sich in Westeuropa Verschiebungen und Erneuerungen der herrschenden Werte, Normen sowie Regeln erkennen, die die Entstehung von Familien und die Gestaltung ihres Alltages prägen. Während der vorindustriellen Zeit dominierte das ganze Haus, d.h. einer Wirtschaftsgemeinschaft bestehend aus biologischen Verwandten und zwecks Mitarbeit in den Haushalt eingetretenen nichtverwandten Personen, wie z.B. Dienstmädchen, Ammen oder Gesellen (Burkart 2010; Peuckert 2012). Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert wurden die Wohn- und Arbeitsstätte voneinander getrennt, sodass die Familie zunehmend zum Inbegriff des Privaten wurde. Ein neues Ideal entstand, das vor allem für das wohlhabende Bürgertum erreichbar war: Die Kleinfamilie. In diesem Modell sollten Ehen geschlossen werden, um gemeinsame Kinder zu gebären, deren Pflege durch die Mutter liebevoll stattzufinden habe und deren Bildung durch den Vater geprägt werde. In dieser Idealvorstellung verbringen die Mütter und der Nachwuchs die meiste Zeit in der Geborgenheit des Haushaltes, während das männliche Familienoberhaupt regelmäßig in die Außenwelt tritt, um finanzielle Mittel einzuwerben. Kurz gefasst: Je nach Geschlecht des Elternteiles ist es dafür zuständig, die Kinder und den zweiten Elternteil entweder zu versorgen oder zu ernähren. Werbungen des späten 19. Jahrhunderts bis zu den 1960er Jahren spiegeln diese Idealvorstellungen von Familie wider, die jemals nur für einen Bruchteil der Bevölkerung verwirklichbar war.
Bürgerliche Kleinfamilien in Werbebildern aus dem 19. Jahrhundert
In unserer heutigen Zeit ist Werbung so gut wie allgegenwärtig. Zahlreiche Male am Tag sehen und/oder hören Gesellschaftsmitglieder Reklamen, z.B. auf unterwegs auf Großplakaten, in Fernsehspots oder digital in Pop-up-Fenstern. Meistens nehmen Akteur:innen nicht wahr, dass die Reklame quasi-omnipräsent ist, und dass sie tagtäglich als Angehörige einer oder mehrerer Zielgruppe:n Gegenstand von kommerziellen Strategien sind (mehr Informationen siehe Vortrag “Werbung als soziologischer Gegenstand”)
Werbetreibende erzielen eine Beeinflussung des Konsumverhaltens von Einzelnen, indem sie die Lust auf das Kaufen von Produkten oder das In-Anspruch-Nehmen von Leistungen anregen bzw. steigern. Damit ihr Kommunikationsangebot eine breite Resonanz erhält, soll es das Interesse von potentiellen Konsument:innen bzw. von ihren Kindern wecken, schnell verständlich sein, sie überzeugen und ihnen im Gedächtnis bleiben (Willems 2003). Anders gesagt: Um die Aufmerksamkeit der adressierten Individuen zu erhalten, werden Werbedramaturgien entwickelt, die den Wünschen und Aspirationen der Zielgruppe entsprechen und auf breite Akzeptanz stoßen.
Wie vor über einem Jahrhundert rekurrieren die heutigen Werbetreibenden auf breit akzeptierte Vorstellungen von Familien und entwerfen Szenen mit Elter(n) und Kind(ern) in ihren Reklamen. Jedoch ist es vor dem Hintergrund des Wandels von den Idealen und den alltäglichen Praxen auf der Ebene der Geschlechterarrangements sowie der Vervielfältigung der Familienformen kaum vorstellbar, dass Werbematerialien in alten Mustern fest gefangen geblieben sind. Vor dem Hintergrund dieser Festlegung stützt sich der vorliegende Beitrag auf geistes- und sozialwissenschaftliche Veröffentlichungen sowie auf selbst ausgewählte Bilder, um folgenden drei Fragen nachzugehen:
- Welche Persistenzen und Erneuerungen zeigen sich in Studien, die sich mit der Inszenierung von Mutter- bzw. Vaterfiguren in Werbung auseinandersetzen?
- Inwiefern können in aktuellen Werbereklamen kulturell codierte Muster erkannt werden, die der Symbolisierung von Mutter-, Vater bzw. Elternschaften dienen?
- Inwieweit finden die zunehmende Pluralität von Familienformen und Diversität von Gesellschaftsangehörigen Eingang in aktuelle Werbereklamen?
Reklamebilder: Ein erstarrtes Familienfotoalbum?
Schon in den 1970ern arbeitete der nordamerikanische Soziologie Erving Goffman (siehe Vortrag “Inszenierung von Geschlechtern in der Werbung”) heraus, dass Reklamebilder wie Choreographien sind, die Elemente aus dem Alltag und die Wünsche von potenziellen Kund:innen aufgreifen (Goffman 1981). Die Szenen, die durchgespielt werden, zeigen keine bestimmten Personen, sondern illustrieren die Verhältnisse zwischen Kategorien von Gesellschaftsmitgliedern. Im Rahmen derartiger Inszenierungen wird nicht nur auf idealisierende Nachahmungen alltäglicher Situationen rekurriert, sondern auch auf extrem gesteigerte Verwendungen von kulturell codierten Mustern (Garcia 2022: 511f.). Die in der Reklame dargestellten strahlenden Versionen der Realität sind zwar mit der durch die Zielpersonen erlebten Wirklichkeit verbunden, aber sie entfernen sich davon, da sie die in gelebten Praxen bzw. im erträumten Alltag übertreiben bzw. zuspitzen.
Das Porträtieren von Familien in Reklamen betreffend fand Goffman in Bildern aus den 1970er Jahren ein steifes, in Konventionen erstarrtes Familienleben. Im Anschluss an das Arrangement der bürgerlichen Kleinfamilie übernimmt der Mann nicht nur die ausführende Rolle, sondern auch die eines Beschützers seiner Partnerin und seinen Kindern gegenüber. In den von ihm ausgewerteten Fotos unterschieden sich Mutter-Tochter-Szenen und Vater-Sohn-Szenen hinsichtlich der Atmosphäre stark. Denn männliche Modelle, die als Vater auftraten, schienen ausgelassen und fröhlich mit ihren Sprösslingen umzugehen, während erwachsene Frauen sich eher verhalten gegenüber weiblichen kindlichen Modellen gaben.
Mutter- und Vaterfiguren in Reklamen aus den 1960/70er Jahren
Mit Blick auf aktuelle Studien ist ersichtlich, dass Werbematerialien Konflikte und Disharmonien zwischen den Familienmitgliedern kaum – und wenn fast nur – in humoristischen Zusammenhängen abbilden. Es überwiegt die Darstellung von Geborgenheit, Harmonie und elterlichem Schutz (Nielson 2016; Marr 2017). Wie in einem Familienfotoalbum werden die Schattenseiten des Familienlebens ausgeblendet. Konflikte zwischen den Familienmitgliedern, Stress im Familienalltag oder chronischer Zeitmangel werden in den Reklamen nicht mit abgebildet. Konsensuell in Fachveröffentlichungen ist auch, dass in Reklamen nach wie vor – bis auf ein paar wenige Ausnahmen – Modelle posieren, die klar entweder zum weiblichen oder männlichen Geschlecht eingeordnet werden können. Daher wird im Folgenden der Fokus auf vergeschlechtlichte Elternfiguren gelenkt, zuerst getrennt voneinander und dann in der Inszenierung von heterosexuellen Elternpaaren. Schließlich wird der Blick noch auf Bilder gerichtet, die Familien präsentieren, welche von der weit verbreiten heterosexuellen Kleinfamilie abweichen und die Pluralität der Familienformen präsentieren.
Zur Permanenz der liebevollen Mutterfiguren
Verschiedene Studien betonen einen Wandel der Darstellung von Frauenfiguren in Werbebildern seit der Jahrhundertwende. Darunter fallen auch die Mutterfiguren. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolgte hauptsächlich die kombinierte Darstellung als Hausfrau und Mutter (Spicko/Resch 2013). Interessanterweise wurden in den 1920er externe Angehörige, wie z.B. Ärzte, in Werbeanzeigen mit abgebildet, was ab den 1950er Jahren nicht mehr zu beobachten ist (Commuri et al. 2002). Hier zeigt sich die Vorstellung der Familie als Inbegriff des Privaten, in welcher externe Personen als störend wahrgenommen und damit auch nicht mehr in der Werbung präsentiert werden.
Die Bereiche, in denen Frauen in den Werbespots in Szene gesetzt wurden, bezogen sich in der Nachkriegszeit überwiegend auf die Familie und den Haushalt. Ihr Verhalten war dabei gegenüber dem männlichen Modell unterwürfig, schutzbedürftig sowie abhängig (Spiess 1994). In den Anzeigen der 1980er Jahren wurden die Mutterfiguren egalitärer im Verhältnis zu den Männern dargestellt. Der Fokus lag stärker auf das Kind als noch in den 1920/50er Jahren (Commuri et al. 2002). In den 1990er erfuhr das Frauenbild eine Verschiebung, indem die weiblichen Modelle als Expertinnen für Haushalt- und Sorgearbeit dargestellt wurden. Hinzu kommt die Einbindung der Frau als Erwerbstätige in den Berufsalltag mit der damit verbundenen Doppelverantwortung für den Work- und Care-Bereich (Becker-Schmidt 2004). Eine Auswertung von in Deutschland ausgestrahlten TV-Spots aus den Jahren 1996 sowie 2016 zeigt einen ganz leichten Rückgang der Darstellung der Frauen in der Rolle als Hausfrau, dennoch werden über die Hälfte der weiblichen Modelle in Werbespots in einem traditionell vergeschlechtlichten Rollenbild – d.h. als Hausfrau, Mutter oder Ehefrau – inszeniert, wie in folgender Grafik von Baetzgen und Leute sichtbar ist (2017: 13):
Im Laufe des 20. Jahrhunderts ist die Darstellung der klassischen Hausfrau in den Hintergrund getreten und schließlich fast gänzlich aus der Werbung verschwunden. Jedoch lässt sich eine hohe Kontinuität beobachten, was die dargestellten mütterlichen Verhaltensweisen betrifft. Nach wie vor sind weibliche Modelle, die als Mutter inszeniert werden, durch „Attribute wie liebend, liebevoll, zärtlich, behutsam, beschützend, besorgt und selbstlos“ (Spicko/Resch 2013: 57) charakterisiert. Deutlich wird dies sehr gut bei der folgenden Abbildung (ibid.):
Nach wie vor überwiegt die Darstellung glücklicher Mütter in einer ungetrübten Familienharmonie, in denen die Hausarbeit nicht länger nur in weiblichen Händen liegt. Häufig werden die Frauen in einer häuslichen Umgebung dargestellt, in welcher sie „die Idylle des Familienlebens in vollen Zügen genieß[en]“ (Vennemann/Holtz-Bacha 2011: 92). In den USA analysierte eine Studie über drei Magazine, deren Leser:innenschaft hauptsächlich aus Müttern bestand, Werbungen für Nahrungsmittel. Nahezu die Hälfte der ausgewerteten Anzeigen verwendete ein Bild mit einem weiblichen Modell in einer Mutterrolle (Lee et al. 2020). Als Zuständige für die Vorbereitung von Mahlzeiten waren Mutterfiguren die Gestalterinnen von glückssprudelnden familiären Szenen mit lächelnden Kindern. Ebenso kommt eine Zusammenfassung von 64 Untersuchungen zur Darstellung von Geschlechtern in der Werbung im Zeitraum von 1981 bis 2007 durch den deutschen Wirtschaftswissenschaftler Martin Eisend (2000) zu dem Ergebnis, dass Stereotypisierungen allgegenwärtig sind, obgleich sie jedoch zurückgegangen sind. Auch wenn Frauen nun häufiger in verschiedenen weiblichen Rollen inszeniert werden und die weibliche Rolle damit ausdifferenziert dargestellt wird, bleiben die meisten Werbedramaturgien mit Mutterfiguren und Kind(ern) nach wie vor in essentialisierenden Mustern gefangen, wie z.B. bei den Anspielungen auf naturalistische Eigenschaften von Müttern.
In aktuellen Werbechoreographien sind Verhaltensweisen wiederholt beobachtbar, die drei Zuschreibungen an Mütter versinnbildlichen und eine große Permanenz aufweisen. Zwecks Symbolisierung einer Mutter-Kind-Bindung wird erstens in zahlreichen Werbeszenen ein Blickmuster verwendet, in welchem ein weibliches Modell in die Augen eines Babys schaut. Diese Fotografien, welche als eingefrorene Szenen wahrgenommen werden, antizipieren intensive, lange Blicke in die Augen, was nach der Bindungstheorie bei den Säuglingen ein Gefühl der Geborgenheit sowie ein Vertrauen in ihr Gegenüber auslösen würde. Kinder zu streicheln ist eine zweite in Werbebildern festgehaltene Handlung, die auf Elemente der Bindungstheorie anspielt, wonach eine enge familiäre Bindung durch positiv erlebte Körperkontakte bedingt sei. Das Streicheln von Babys und Kindern dient auch der Symbolisierung der Zuneigung von Müttern für ihren Nachwuchs. Denn Berührungsreize werden als Förderung der psycho-emotionalen Entwicklung von Heranwachsenden gedeutet. Auch Umarmungen von Nicht-Erwachsenen durch weibliche Modelle versinnbildlichen das Spenden von Nähe und Trost durch eine liebende Mutter. Das Küsschen geben gilt innerhalb vieler westlicher Kulturen als ein Vorbehalt sehr enger persönlicher Beziehungen – z.B. zwischen Lebenspartner:innen- oder Elter(n) und Kind(ern). Das Kopf-an-Kopf-Legen ist eine weitere sehr intime Berührung, da durch diese die persönliche Distanzzone durchschritten wird. Die In-Szene-Setzung von derartigen zwischenmenschlichen Berührungen dient daher dem raschen Erkennen von innigen Gefühlen von Müttern für ihre Kinder. Schließlich lassen sich Werbebilder finden, die Muster verwenden, welche eine beruhigende Wirkung von Müttern auf ihre Kindersymbolisieren. Dies betrifft z.B. Arrangements, in welchen ein weibliches Modell ein Baby streichelt oder sich sein Kopf vor dem mütterlichen Brustkorb befindet. Solche ab der Geburt durchgeführten sanften Berührungen sowie das Anhören des rhythmischen Klopfens des mütterlichen Herzens werden mit dem Sinken von Stress- bzw. Angstzuständen assoziiert.
Symbolisierung einer Mutter-Kind-Bindung
Symbolisierung der Zuneigung von Müttern für ihren Nachwuchs
Symbolisierung einer beruhigenden Wirkung von Müttern
Persistenzen und Erneuerungen bei den Vaterfiguren
Bei den deutschsprachigen geistes- und sozialwissenschaftlichen Untersuchungen zu den Themengebieten Geschlecht und Medien ist die Aufmerksamkeit für das Männliche nach wie vor nicht so groß wie für das Weibliche. Studien mit einer Fokussierung auf männliche Figuren behandeln daher meistens nur einen Zeitraum ab bzw. nach dem späten 20. Jahrhundert.
Ab den 1980er Jahren finden sich in Werbungen Inszenierungen mit männlichen Modells als Väter wieder (Spicko/Resch 2013). Hier lässt sich ein tiefgreifender Wandel der männlichen Ideale beobachten, die nun nicht mehr nur auf ihre beruflichen und familialen Funktionen reduziert werden. Dies erklärt die Vervielfältigung der szenischen Choreografien in Werbematerialien mit väterlichen Figuren. Die Rollendifferenzierung wird durch die vielen Facetten sozialer Rollen sichtbar, die männliche Modelle zur Schau stellen, wie z.B. der leistungsorientierte Sportler, der Sonnyboy, der Abenteurer, der erfolgreiche Karrieremann, oder der aufmerksame Lebenspartner (Hippmann 2007; Dreßler 2011). Der deutsche Medienwissenschaftler Guido Zurstiege identifiziert vor dem Hintergrund seiner Untersuchung von Bildern mit Männern in Anzeigenwerbung der 1950er, 1970er und 1990er Jahre sieben Typen: der Alleskönner, der erfolgreiche Mann, der attraktive Mann, der Praktiker, der Genießer, der verkannte Künstler sowie der Familienvater (1998: 164). In Inszenierungen von Väterlichkeit steht die Zärtlichkeit häufig im Vordergrund: „[Der] Mann als Familienvater […] leistet nicht mehr nur seinen finanziellen Beitrag zur Kindererziehung, sondern geht liebevoll und fürsorglich mit seinem Nachwuchs um“ (Hippman 2007: 170). Im Zeitverlauf zeigt sich, dass die Darstellung von zärtlich handelnden Modellen zunimmt und das neue Männerbild in der Reklame ebenso Tätigkeiten wie Kinderbetreuung oder Care-Arbeit mit umfasst. Insbesondere in der an Frauen adressierten Zeitschrift Brigitte zeigt sich der höchste Innovationsvorsprung: Die Familienväter „sind genuß- und erlebnisorientiert und lieben (ihre) Kinder“ (Zurstiege 1998: 163).
Mehrere Forscher:innen zeigen auf, dass die Darstellung einer väterlichen Zuneigung häufig im Rahmen von gemeinsamen Freizeitaktivitäten mit Kindern zu finden ist (ibid.; Hippman 2007). Insbesondere bei Bildern mit männlichen kindlichen Modellen wird auf eine vorbildbezogene Vater-Sohn-Beziehung rekurriert (Borstnar 2003). Männliche Modelle aus zwei verschiedenen Generationen werden aktiv inszeniert, indem sie gemeinsam die Umgebung entdecken oder mit männlich codierten Gegenständen hantieren, wie z.B. mit Grill- oder Motorradzubehören. Herausgestellt werden kann, dass die Vaterfiguren immer involvierter und aktiver mit Kindern inszeniert werden, jedoch keine grundsätzliche Infragestellung von traditionell männlichen Elementen zu beobachten ist:
„[D]as Zusammensein von Vater und Kind ist in der Regel erlebnis- und vorsorgeorientiert, das heißt, auch hier steht der Spaßfaktor im Mittelpunkt. […] Dabei strahlen die Abbildungen dieses Männertypus in allen Kampagnen pure Zufriedenheit aus. Die Werbestrategien zeigen einen liebevollen Vater, betonen dennoch seine traditionelle Männlichkeit.“ (Hippman 2007: 170)
Die Inszenierung von väterlichen Figuren in häuslichen Handlungen hat in Werbematerialien nur langsam und am Rand stattgefunden (Macé 2013; Leader 2019). Aus der Auswertung von 43 französischen Werbekampagnen aus den 2000ern ergab sich, dass die Werbung zwar den Wandel des Geschlechterarrangements thematisiert, jedoch eher die männlichen Widerstandsstrategien – wie z.B. die Vermeidung der mühsamen Tätigkeiten im Haushalt oder die ‚Rettung‘ ihrer Männlichkeit dank sportlichen oder kämpferischen Inszenierungen – thematisiert und daher legitimiert (Macé 2010, 2013). Eine Studie über die Reklame einer amerikanischen Waschmittelmarke fand zwar viele Spots und Anzeigen, in denen die Väter den Haushalt verrichten. Aber es besteht ein sehr breites Spektrum von Choreographien, nämlich von Vaterfiguren, die als gewissenhafte Hausangestellte inszeniert werden, bis hin zu welchen, die sich in ihrer häuslichen Rolle wohlfühlen (Leader 2019).
Blickend in aktuelle Werbebilder können Verhaltensweisen wiederholt beobachtet werden, die drei Zuschreibungen an Väter versinnbildlichen. Erstens lässt sich das schon herausgearbeitete Blickmuster erkennen, in welchem ein weibliches Modell einem Baby direkt in die Augen schaut, und das der Symbolisierung einer Mutter-Kind-Bindung dient. Diese Darstellung wird übernommen, um so eine Vater-Kind-Bindung zu repräsentieren. Zudem können viele Reklamen einer Symbolisierung der Väterlichkeit als Spielpartnerschaft zugeordnet werden. Diese Bilder zeigen eine Ausgelassenheit im Umgang miteinander. Die Vater-Kind-Beziehung wird als von Harmonie und Verständnis geprägt dargestellt. Die Väter scheinen sich ohne Generationenhierarchien und Autoritätsbekundungen auf einer gemeinsamen Ebene mit dem Kind zu befinden und genießen im „Hier-und-Jetzt“ die gemeinsame Zeit. Die dritte Symbolisierung bezieht sich auf die männliche Vorbildfunktion des Vaters für den Sohn. Dabei scheint das erwachsene Modell ein männliches Kind in die Welt der Erwachsenen einzuführen, welche jedoch hauptsächlich mit Freizeit und Spaß verbunden ist. Verwiesen wird zum Teil auf Aktivitäten, die mit Elan durchgeführt werden können. Die Vaterfigur wird als Vorbild inszeniert, dessen Verhaltensweisen durch den männlichen Nachwuchs imitiert werden. Auffällig sind die teilweise ähnlichen Frisuren sowie Kleidungsstile der männlichen erwachsenen und kindlichen bzw. jugendlichen Modelle.
Symbolisierung der Vater-Kind-Bindung
Symbolisierung der Väterlichkeit als Spielpartnerschaft
Symbolisierung der männlichen Vorbildfunktion des Vaters für den Sohn
(K)eine Revolution bei Elternpaaren
Trotz der Pluralisierung der Familienformen in den letzten Jahrzehnten war Mitte der 2010er die klassische Familie, bestehend aus Mutter, Vater, Kind(ern), deutlich häufiger in der Werbung zu sehen als zu Mitte der 1990er Jahre (Baetzge/Leute 2017). Eine vergleichend angelegte deutsch-arabische Studie über Werbeanzeigen aus Zeitschriften und Zeitungen ergab, dass bei Darstellungen mit Kindern in deutschen Anzeigen häufig die komplette Familie beinhaltet ist oder nur ein Elternteil mit Kind abgebildet wird (Pittner/Beaizajk 2013). Die In-Szene-Setzung von Elternpaaren erfolgt in zweierlei Modi: Das gleichberechtigte Paar, welches bei einer gemeinsamen Aktivität dargestellt wird, und das traditionell polarisierte Paar, in welchem auf zwei komplementäre Geschlechterrollen angespielt wird. Auch bei gleichberechtigten Konfigurationen ist das männliche etwas größer als das weibliche Modell, wodurch der schon in den 1970er Jahren von Goffman herausgearbeiteten Erwartung eines Größenunterschiedes zwischen den Geschlechtern entsprochen wird. Diesbezüglich sprach er von einem „biologischen Dismorphismus“ (siehe Vortrag “Inszenierung von Geschlechtern in der Werbung”) , welches eine Hierarchie der Geschlechter symbolisiert.
In Werbebildern wird eine ‚heile Welt‘ der Kernfamilie präsentiert, in welcher die Beziehungen zwischen den erwachsenen und kindlichen Modellen vollkommen harmonisch wenn nicht sogar idyllisch wirken (Nielson 2016). Der Wunsch, die elterlichen Kompetenzen zu verbessern, wird in Werbungen regelmäßig zum Thema erhoben. Die inszenierten ‚guten Eltern‘ zeigen Verantwortung ihren Kindern gegenüber und sorgen sowohl für ihr Wohlbefinden, ihre Gesundheit, ihre körperliche Entwicklung als auch für die Ausübung von schulischen und außerschulischen Aktivitäten (Assarsson/Arssand 2011).
Für die gegenwärtigen Reklamen können zentrale Verhaltensweisen erkannt werden, die drei Zuschreibungen an heterosexuelle Elternpaare versinnbildlichen. Erstens findet eineSymbolisierung vom Kind als Bindeglied zwischen Mann und Frau statt. Dies entspricht der Vorstellung, wonach eine Familie durch die Geburt bzw. die In-Pflege-Nahme eines Kindes gegründet wird, welches ein Paar in eine Triade verwandelt. Insbesondere, wenn nur ein Kind dargestellt wird, ist der Fokus der erwachsenen Modelle stark auf dieses gerichtet. Kurz gesagt: Das Kind wird zum Dreh- und Angelpunkt der Familie. Seine Bedürfnisse scheinen im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen. Eine Symbolisierung der väterlichen Führer- und Beschützerfunktion lässt sich zweitens erkennen. Dies entspricht Choreografien, in welchen die dargestellte Vaterfigur als Halt und Wegweiser für die Kleinfamilie repräsentiert wird und daher als Säule erscheint. Derartige Inszenierungen lassen sich z.B. in Werbebildern beobachten, in denen das männliche erwachsene Modell einen Kinderwagen schiebt oder beide Arme um Frau und Kind(er) legt. Die dritte Symbolisierung bezieht sich auf die Mann-zur-Frau Hierarchie bei heterosexuellen Elternpaaren. Die in westlichen Gesellschaften nach wie vor bestehende Erwartung einer Größendifferenz zwischen den Partner:innen einer zweigeschlechtlichen intimen Beziehung wird nämlich weiterhin in Werbematerialien erfüllt. Hiermit wird die Schutzbedürftigkeit der Mutterfiguren und die Dominanz des Männlichen signalisiert.
Symbolisierung vom Kind als Bindeglied zwischen den Elternteilen
Symbolisierung der väterlichen Führer- und Beschützerfunktion
Symbolisierung der Mann-zur-Frau Hierarchie in heterosexuellen Elternpaaren
Forschungsarbeiten zur Darstellung von Familienkonstellationen, die die vorherrschende Norm des heterosexuellen weißen Elternpaares mit einem bis drei Kindern nicht entsprechen sind bisher noch ausstehend. Dies liegt teilweise an fehlenden Werbematerialien. So sind Reklamen mit gleichgeschlechtlichen inszenierten Paaren äußerst rar zu finden. Denn wie in anderen Medien herrscht in der Werbung nach wie vor die Norm einer heterosexuellen Paarbeziehung, sodass sich die Zahl von Produktionen, in denen homosexuelle Lebenswelten dargestellt werden zwar erhöht, aber aktuell Randphänomene bleiben (Lünenborg 2016). Ähnlich selten aber auch Tendenz steigend sind Reklamen mit ethnisch gemischten Modellen, die als Mitglieder einer Familie in Szene gesetzt werden. Hier ist die Forschungslücke im deutschsprachigen Gebiet noch vollkommen zu erschließen. Konfigurationen mit einer für Familien als überdurchschnittlich geltenden Kinderanzahl sind aktuell in Werbung selten, denn sie entsprechen nicht dem dominanten Ideal innerhalb westeuropäischer Länder. In weiteren Medien aber genießt diese Familienform seit ein paar Jahren eine wachsende Beliebtheit (z.B. Realityshows, soziale Medien). Studien mit langfristigen und international angelegten vergleichenden Perspektiven wären in diesem Fall besonders anregend für eine tiefgehende Analyse von vergeschlechtlichten Inszenierungen von Eltern- bzw. Kinderfiguren.
Beispiele von Ausnahmewerbebildern
Bilanz und Desiderate
Erving Goffmans Forschungsvorhaben aus den 1970er Jahren hat keineswegs an Aktualität verloren. Die Analyse von vergeschlechtlichten Darstellungen von Personenkategorien sowie von hierarchisierenden Inszenierungen sozialer Beziehungen sind in hoch digitalisierten Gesellschaften mehr als je zuvor wissenschaftlich und gesellschaftlich relevante Forschungsgegenstände. Denn mediale Abbildungen hängen mit der Persistenz und der Erneuerung der Einstellungen von Gesellschaftsmitgliedern aller Generationen zusammen und sind in ihrer Entstehung ebenso durch die gesellschaftliche Realität geprägt.
Mit Sicht auf Elternfiguren zeigten die im vorliegenden Beitrag herangezogenen Studien und eingebundenen Werbebilder eine zunehmende Inszenierung von männlichen Figuren als dem Ideal des ‚Neuen Vaters‘ – d.h. von in Sorge- und Erziehungsarbeit aktiv involvierten Männern – entsprechend. Auch wenn bei den Mutterfiguren immer häufiger die Einbindung in das Erwerbsleben Eingang in Werbematerialien findet, kann nicht die Rede von einem Angleichen zwischen Mutter- und Vaterfiguren bzw. von einer Entgeschlechtlichung der Elternfiguren in Reklame sein. Denn weibliche Modelle werden nach wie vor häufig in der Rolle der Care-Erbringenden inszeniert und es bestehen weiterhin essentialisierende Muster in zahlreichen Werbebotschaften, die auf ‚natürliche‘ Eigenschaften von Müttern anspielen.
Aktuell sind westliche Gesellschaften durch eine Vielfalt an akzeptierten Familienformen gekennzeichnet, wie den Einelter-, den Stief- oder den Regenbogenfamilien. Inwiefern diese Pluralisierung Eingang in Werbematerialien gefunden hat, wurde bisher kaum erforscht. Es bedarf weiterer empirischer Projekte, die z.B. die Inszenierungen von gleichgeschlechtlichen bzw. ethnisch gemischten Elternpaaren sowie von Ent- bzw. Vergeschlechtlichung von Kinderfiguren ins Zentrum der Analyse rücken. Ebenso wäre es spannend, das bald zu erwartende Einziehen in die Werbelandschaft der aktuell in anderen Medien steigend sichtbaren Mehrkindfamilien zu verfolgen. Szenische Choreographien, die ein elterliches Engagement mit Nachwuchs im Jugendalter oder Großelter(n)-Enkelkind(er)-Beziehungen repräsentieren, sind auch Materialien deren Auswertung aussteht.
Untersuchungen, die verschiedene Kategorien von online bzw. offline Werbematerialien berücksichtigen und die einen langfristigen sowie interkulturellen Blickwinkel verwenden, haben daher zweifelsohne hochspannende Zukunftsperspektiven.
Literatur
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